Der Borgardtshof ist ein spezialisiertes stationäres Erziehungshilfeangebot für Jungen ab 13 Jahren, die im sozialen Kontext vorwiegend aggressiv agieren, durch delinquente Handlungen auffällig wurden, in ihrem bisherigen Lebensumfeld nicht adäquat erreicht werden können und/oder zwischen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Einrichtungen der Jugendhilfe hin und her wechseln.
Die Einrichtung ermöglicht eine beziehungskonstante Begleitung des Jugendlichen durch ein spezielles Coaching-System und aufeinander aufbauende Settings von der Intensivbetreuung bis zur Verselbstständigung. Der Borgardtshof besteht aus einem großräumigen Gebäudeensemble im ländlichen Außenbezirk der Stadt Goch am linken Niederrhein. Die Anlage ermöglicht aufgrund der besonderen räumlichen Lage die Überschaubarkeit von Prozessen und Abläufen sowie die moderate Filterung externer Stressoren und schafft gleichzeitig hohe Hürden bezüglich gezeigter Entweichungs- und Ausweichtendenzen.
Die Jugendlichen haben viel Raum für Sport und Spiel, sind in die Haushaltsführung und Bewirtschaftung der Hofanlage eingebunden, können gezielt auf ihre Selbstständigkeit vorbereitet und zur Wirkungssicherung langfristig begleitet werden.
Das Angebot ist ausdrücklich auch für Jugendliche geeignet, die eine Mitwirkungsbereitschaft erkennen lassen und bei denen eine Haftstrafe vermieden werden soll.
Zielgruppe
Die Jugendlichen der Zielgruppe verhalten sich vor allem aggressiv.
Sie
- zeigen eine sich chronifizierende Tendenz zu autoaggressiven, aggressiven und dissozialen Handlungen,
- reagieren auf Parallelinterventionen verschiedener Professionen resistent,
- haben keine oder nur eine sehr geringe Einsicht in das individuell und sozial beeinträchtigende Ausmaß ihres Verhaltens,
- "sprengen" Hilfesysteme durch ihre Dynamik
- und brauchen vor allem eins: ausgehalten und gehalten werden.
Ziele
Primäres Ziel des spezialisierten Erziehungshilfeangebotes ist es, unter Berücksichtigung der multiplen Wirkungsfaktoren des aggressiv-intendierten Verhaltens, durch aufeinander abgestimmte, multiprofessionelle und multimodale Interventionen eine deutliche Veränderung des gezeigten Verhaltensrepertoires zu erwirken und gleichzeitig die persönliche Entwicklung und (Nach-) Reifung der Jugendlichen zu ermöglichen. Das Erreichen dieser Ziele und damit der gelungene Ausgleich einer nicht unerheblichen Benachteiligung, bildet die Grundlage zur Erweiterung der Chancen auf Partizipation und Integration.
Alltag, Beziehung und Intervention
Der Borgardtshof versteht sich als ein Lebensort, in dem Authentizität, Begegnung, Reibung und Lernen im Vordergrund stehen. Die Einrichtung hält eine hohe Präsenz von Fachkräften unterschiedlicher Profession vor, die sich auf die besonderen Problemlagen und Herausforderungen der Zielgruppe spezialisiert haben. Die Verzahnung von Alltagserfahrung, erzieherischen und psychotherapeutischen Interventionen sowie ein exemplarisch entwickeltes Bildungskonzept ermöglichen die Herstellung langfristiger, tragfähiger Beziehungen sowie ein am einzelnen Jugendlichen orientiertes systematisches und systemübergreifendes Agieren.
Modulare Settings – Etappen auf dem Weg zur Selbstständigkeit
Das stationäre Erziehungshilfeangebot hält verschiedene Settings vor, die hinsichtlich der Betreuungsintensität und inhaltlichen Ausrichtung variieren. Sie sind auf die Zunahme der Selbststeuerungskompetenzen der Jugendlichen ausgelegt und ermöglichen gleichzeitig die Fortführung tragfähiger Bindungen und Beziehungen.
Der Borgardtshof besteht aus zwei offenen Intensivgruppen mit jeweils sieben Plätzen und einer Betreuungsintensität von 1:1:
- Wohngruppe "Ausblick"
- Wohngruppe "Aufwind"
sowie zwei Trainingsgruppen zur Verselbstständigung mit jeweils drei Plätzen und einer Betreuungsintensität von 1:1,7:
- Trainingsgruppe "Aufwärts"
- Trainingsgruppe "Aufbruch"
Die finale Verselbstständigung des Jugendlichen wird in externen Appartements begleitet (Intensität 1:4 bis 1:6).
Coaching statt Betreuung
Ein speziell entwickeltes Coaching-System definiert die Funktionen und Aufgaben der Fachkräfte, schafft Rollenklarheit und ermöglicht zudem die Konstanz von personellen Bezügen unabhängig vom jeweiligen Lebensort des Jugendlichen. Die Fachkräfte agieren als Coaches im Sinne von Trainern mit einer spezifischen Aufgabenstellung. Damit einher gehen bestimmte Anforderungen und Ziele, die den Jugendlichen eine aktive Mitwirkung erleichtern, Rollenkonfusionen vermeiden Durch den Sprachgebrauch - der nur Insidern verständlich ist - , wird das Gefühl der Zusammengehörigkeit gestärkt.
Team und Vernetzung
Zu den Teams gehören Psychologen, Sozialpädagogen und Erzieher, Arbeitspädagogen, Hauswirtschafterinnen und ein Hausmeister. Durch die enge Kooperation mit der örtlichen Kinder- und Jugendpsychiatrie, externen Therapeuten, der Polizei, der "LVR-Paul-Moor-Schule", weiteren Schulen und Ausbildungsbetrieben sowie Vereinen wird ein Netzwerk vorgehalten, dass die Jugendlichen integriert und damit deren Inklusion und Teilhabe ermöglicht.
Fachliches Know-how
Zu den besonderen Merkmalen der Einrichtung gehören:
- Prozessuale Psychodiagnostik
- Multimethodale pädagogisch - therapeutische Interventionen
- Interdisziplinäres und systemübergreifendes Agieren
- Hohe Personalpräsenz und stabile Beziehungsangebote
- Ein von Achtsamkeit und Sorgfältigkeit strukturierter Alltag
- Einbeziehung der Eltern
- Inhouse-Beschulung mit Integrationsoption in Regelschulsysteme
- Arbeit mit individuellen Verstärkerplänen
Methoden und Verfahren
Die angewendeten multimodalen Verfahren und Techniken basieren unter anderem auf einer Kombination unterschiedlicher Modelle und fachlicher Bezüge, die theoretisch hinterlegt sind und dem Anspruch von Praxistauglichkeit, Planbarkeit und Zielorientierung unterliegen.
Dazu gehören:
- Psychotherapeutische Ansätze und Verfahren für komplex traumatisierte Kinder und Jugendliche
- systemische Behandlungsmodelle zur Therapie traumatisierter Kinder/Jugendlicher
- Studien zum therapeutischen Milieu/Trauma- und Beziehungsarbeit in stationären Einrichtungen
- systemische Behandlungsmodelle zur Therapie dissozialer Kinder und Jugendlicher
- Verfahren zur ressourcenorientierten Diagnostik und Intervention bei Jugendlichen
- Methoden der Kompetenzorientierung in der Jugendhilfe
- lösungsorientierte Ansätze und Programme für die Arbeit mit Jugendlichen
- Programm zur Verhaltenssteuerung bei aggressiven Kindern und Jugendlichen (ABPro)
- Ansätze der konfrontativen Pädagogik im Umgang mit aggressivem und abweichendem Verhalten
- kreativtherapeutische Verfahren und Methoden
- Analyseverfahren zu Delikten und deren Vorgeschichte
- das transtheoretische Modell
Elternarbeit
Mehrere Studien belegen die Bedeutung von Elternarbeit im Rahmen erzieherischer Hilfen und es herrscht Konsens darüber, dass Jugendhilfe nur erfolgreich sein kann, wenn sie gleichzeitig auch Familienhilfe ist. Wir beziehen daher die Eltern und das Familiensystem konkret in unsere professionellen Interventionen ein, trainieren die Erziehungskompetenz der Eltern im Umgang mit ihrem Kind und beraten sie hinsichtlich flankierender Schritte und Maßnahmen, die eine konstruktive Eltern-Kind-Beziehung stabilisieren.
Grundsätzlich streben wir eine Rückführung des Jugendlichen in seinen familiären Kontext an. Ist dies nicht möglich, begleiten wir den Jugendlichen in eine selbstständige Lebensführung.
Integration von Bildung – ein Modell
Mit Unterstützung der schulischen Aufsichtsbehörden und auf Basis einer engen Zusammenarbeit mit der "LVR-Paul-Moor-Schule" wurde ein besonderes Schulmodell entwickelt, das von der Inhouse-Beschulung bis zur Integration der Jugendlichen in Regelschulsysteme und die Einleitung berufsorientierender Maßnahmen reicht. Durch das Mitwirken des Lehrpersonals im Team und das Aufgreifen der unmittelbaren Alltagserfahrungen gelingen die äußerst wirkungsvolle Verzahnung von Erziehung, Therapie und Bildung und damit die Realisation individueller Bildungskonzepte.
Transparenz und Partizipation
Jeder Jugendliche hat eine Stimme, die bei gemeinsamen Entscheidungsprozessen relevant ist. Die Bedingungen im Borgardtshof sind so gestaltet, dass die Jugendlichen ihre Lebenswelt verstehen und beeinflussen können. Sämtliche Abläufe und Entscheidungen unterliegen dem Transparenzprinzip und jede Form der Willkürlichkeit wird vermieden. Die Jugendlichen erleben im Alltag eine authentische und beteiligungsfördende Grundhaltung der Fachkräfte und erlernen im täglichen Umgang miteinander wesentliche Elemente einer Demokratie. Durch das spezielle "Part-Modell" wir die aktive Mitwirkung der Jugendlichen an Entscheidungsprozessen des Borgardtshofes aktiv gefördert.
Beschwerdemanagement und Ombudschaft
Jeder Jugendliche hat das Recht, sich zu beschweren. Dafür kann er die tägliche Reflexionsrunde oder den Kummerkasten nutzen oder die gewählte Vertrauensperson ansprechen.
Zur Sicherstellung der Kinderrechte wird die Einrichtung regelmäßig von einer Ombudperson - einem Kinder-Jugendrichter - besucht und einmal jährlich werden die Kinderrechte in Rahmen einer Projektwoche thematisiert.